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STADTKUNDE MÜNCHEN
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Die Münchner Bierrevolution von 1844 – Von Benedikt Weyerer
In Europa lag Revolution in der Luft gegen die unhaltbaren sozialen und politischen Zustände. Am 14. Juli 1789
stürmten Aufständische die Bastille, das zentrale Gefängnis von Paris, und befreiten die dortigen politischen Gefangenen.
Damit begann die Französische Revolution, die die dortige Monarchie hinwegfegte und schließlich allerdings auch
nichts Besseres hervorbrachte.
Ein beispielloses Ereignis war dabei die König Ludwig I. stätten, schlugen die Fenster ein,
Enthauptung des Königspaares Marie Antoi- zerschmetterten die Möbel und zerstörten
nette und Louis XVI. mittels Fallbeiles im Ludwig I. lebte von 1786 bis 1868 und re- alles, was ihnen in die Hände fiel, um sich
Jahr 1793. Diese Vorkommnisse hatten gierte Bayern von 1825 bis 1848. Überall für den erhöhten Preis ihres Lieblingsge-
auch Auswirkungen auf Bayern. Kurfürst in seinem Königreich ließ er auf Kosten der tränkes zu rächen.“ Außerdem: „Die Polizei,
Karl Theodor (1724–1799) erkannte die Steuerzahlen riesige Bauvorhaben realisie- die wie überall beim Volk verhasst war,
drohenden Zeichen der Zeit und befahl ren, insbesondere in seiner Hauptstadt wurde von den Randalierern schwer ge-
noch im Jahr 1789 die Anlage des Engli- München. Das größte Projekt war dabei die schlagen und misshandelt.“ Allerdings
schen Gartens mit dem Anspruch: „(...) das Ludwigstraße. Noch als Kronprinz befahl er musste er eingestehen, dass das Militär
Interesse der Zivilbevölkerung zu vereinen am 8. August 1822 die Benennung der ent- eingriff, als die Residenz des Königs selbst
und die Militärmacht auch in Zeiten des stehenden Prachtstraße nach sich selbst, in Gefahr gewesen sei. Dass Bier in der
Friedens dem allgemeinen Wohl des Volkes und zwar anlässlich seines 26. Geburtsta- Lage war, solch gewaltige Entrüstungsstür-
dienstbar zu machen.“ Er und die europäi- ges am 25. August 1786. Allein dies zeigte me auszulösen, erstaunte ihn offensicht-
schen Fürsten fürchteten nämlich, es kön- symbolisch seine Selbstüberschätzung zu- lich: Das bayerische Bier sei das beste in
ne ihnen bald genauso ergehen wie ihren lasten der Allgemeinheit. Deutschland und natürlich seien die Bayern
französischen Kollegen, und Karl Theodor süchtig danach, es in großen Mengen zu
hoffte nun, vor seinen Untertanen als trinken. Er wies allerdings nicht darauf hin,
Wohltäter dazustehen. Allerdings gelang The Northern Star dass dies in England auch nicht anders war
ihm dies nicht, denn der Magistrat benann- – und immer noch ist, wobei hier über die
te beispielsweise am 19. Mai 1893 die Die sozialistische britische Wochenzeitung Qualität des dortigen Gerstensaftes nicht
Karl-Theodor-Straße nicht nach ihm, „The Northern Star“ aus dem nordengli- diskutiert werden soll. Engels konnte auch
sondern nach dem Arzt Karl Theodor von schen Leeds brachte am 25. Mai 1844 nicht umhin, den damalige Machthaber
Bayern (1839–1910), dem Gründer der einen Artikel über die „Beer Riots in Bava- König Ludwig I. aus der Ferne mit Häme
Augenklinik an der Nymphenburger Stra- ria“, also den Bier-Aufstand in Bayern, zu bedenken. Als erklärter Freund der
ße 43. Im Gegensatz dazu hatte Karl Theo- verfasst auf Englisch von einem Ausländer Arbeiterklasse ließ er seine Leser wissen:
dor Anfang Juli 1792 die Umbenennung aus Deutschland, nämlich Friedrich Engels „Aus all dem ergibt sich, dass sich der
des Neuhauser Tores nach sich selbst in (1820–1895, Friedrich-Engels-Bogen von Dichterkönig (König Ludwig von Bayern ist
Karlstor befohlen und am 27. April 1797 1969), der stark von den Ideen von Karl der Autor dreier unlesbarer Gedichtbände,
die Benennung des vorgelagerten Platzes Marx (1818–1883, Karl-Marx-Ring von eines Reiseführers über seine öffentlichen
in Karlsplatz – eine Bezeichnung, die sich 1969) beeinflusst war. Als Korrespondent Bauten etc. etc.) während dieser Unruhen
immer noch nicht eingebürgert hat, denn berichtete Engels über massive Aufstände, in einer äußerst peinlichen Lage befand.“
der Ort ist im Allgemeinen als „Stachus“ die erst kürzlich Anfang März 1844 in Und er prophezeite mit Genugtuung, dass
bekannt. Nebenbei bemerkt, steht auf München stattgefunden hatten. Tagelang die Volksmassen „schnell erkennen werden,
dem Karlstor ein falsches Umbenennungs- hätten in der königlichen Haupt- und Re- dass es ebenso einfach ist, der Obrigkeit
Datum, nämlich der 1. Mai 1791. sidenzstadt Tausende auf den Straßen ran- auch bei wichtigeren Angelegenheiten das
daliert, die Polizei habe die Kontrolle ver- Fürchten zu lehren.“ Aber was war denn
loren und sogar das Militär sich in Teilen nun in München geschehen?
auf die Seite der Aufständischen geschla-
gen. Vermutlich nicht ohne innere Zufrie-
denheit über diesen Klassenkampf im Sinne Die medizinische Vorgeschichte
seines Lehrers Marx berichtete der 23-jähri-
ge Engels: „Die Arbeiter zerstörten alles, Erst der Münchner Hygieniker Max von
was ihnen in die Hände fiel. Sie versam- Pettenkofer (1818–1901, Pettenkoferstraße
melten sich in großen Massen, marschier- von 1901) erkannte den Zusammenhang
ten durch die Straßen, überfielen die Gast- zwischen den häufigen Seuchen in den
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