Page 32 - Taxikurier Mai 2025
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Untertänigste Straßennamen        derat die Bismarckstraße. Es war damals   nach guten Adressen für Schwabing auf
           in Schwabing                      nichts Ungewöhnliches, öffentliche Ver-  die Idee kam, auch Potsdam und Berlin mit
                                             kehrsflächen nach noch lebenden Personen   Straßen zu ehren. Auf alle Fälle gibt es seit
           Auf der Flur des Dorfes Schwabing entstan-  zu benennen. Die Namengebung in Schwa-  diesem 7. Dezember 1907 die Berliner
           den seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganze   bing wurde begründet mit: „Otto Fürst von     Straße mit der Erläuterung: „Hauptstadt
           Straßenzüge von Wohnhäusern für Besser-  Bismarck, erster deutscher Reichskanzler,   des Königreiches Preußen und Sitz der
           verdienende. Infolge des enormen Bevöl-  geboren 1. April 1815 zu Schönhausen.“   Deutschen Reichsregierung.“ Ursprünglich
           kerungswachstums wurde der Ort am 1. Ja-  Viele Straßen dieser damaligen Neubauge-  hatte man darüber hinaus an eine
           nuar 1887 zur Stadt erhoben, bevor am    biete tragen aus den genannten Gründen   Sanssouci straße nach dem Schloss der
           20. November 1890 die Eingemeindung   Namen solcher Art. Einige Beispiele: Die   preußischen Könige in Potsdam gedacht,
           nach München folgte. Die neuen, finanziell   Hohenzollernstraße: „Nach dem preußi-  einigte sich dann aber wegen der leichte-
           bessergestellten Zugezogenen wollten an   schen Herrschergeschlecht.“ Dann Kaiser-  ren Aussprechbarkeit auf die Potsdamer
           Adressen leben, die ihren gehobenen An-  platz und Kaiserstraße: „Zu Ehren der Kai-  Straße: „Hauptstadt der preußischen Pro-
           sprüchen genügten, also an sozusagen   serwürde im neu aufgerichteten Deutschen   vinz Brandenburg.“ Typische, thematisch
             besseren Adressen. Umgekehrt gesehen,   Reiche.“ Das war im Jahr 1871. Auf kon-  passende Anschlussbenennungen sind dann
           zog eine „gute“ Adresse die sich selbst als   krete Personen beziehen sich die Wilhelm-  schließlich zwei  Straßenzüge für die ge-
           etwas Besseres Empfindenden eher nach   straße nach dem neuen deutschen Kaiser   plante Wohnsiedlung an der Berliner Stra-
           Schwabing als vielleicht in ein anderes   Wilhelm I. (1797-1888) und die Friedrich-  ße: Seit 1984 gibt es je eine Straße nach
           Viertel. Deshalb bemühte sich die Verwal-  straße nach seinem Nachfolger Friedrich I.,   Architekten, die das Berliner Stadtbild
           tung um „gute“ Adressen, wie am Beispiel   der von 1831 bis 1888 lebte und nach    maßgeblich geprägt  haben: Schinkelstraße
           der Bismackstraße gezeigt werden soll.    nur 99 Tagen Regierung an Kehlkopfkrebs   nach Karl S. (1781–1841) und Schlüter-
           Im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom   starb, sowie die Viktoriastraße nach dessen   straße nach Andreas S. (1659–1714).
           9. März 1885 unter Vorsitz von Bürgermeis-  Frau mit der Erklärung: „Deutsche Kaiserin
           ter Alois Ansprenger (1853–1913, Anspren-  Viktoria, geborene Princess Royal von
           gerstraße von 1918) heißt es: „Mit Majori-  Großbritannien, Gemahlin des zweiten   Fazit
           tät wird beschlossen, der neuen Straße an   Deutschen Kaisers Friedrich, geboren
           der Verbindung der Clemens- und Herzog-  21. November 1840.“  Der inzwischen   Straßennamen sind das Gedächtnis der
           straße den Namen Bismarckstraße zu geben   Münchner Magistrat ließ sich die genann-  Stadt und genau wie das menschliche
           und hiervon zugleich in der beschlossenen   ten Straßenzüge alle in einem Aufwasch     Gehirn nicht immer sofort zu entschlüsseln.
           Adresse Seiner Durchlaucht Herrn Fürst   am 19. Mai 1893 genehmigen.
             Bismarck Kenntnis zu geben.“ Der Text
             dieses Schreibens lautete unterwürfig,
           aber für die damalige Zeit normal:    Straßennamen am Bahnhof
           „Betreff: Straßenbenennung einer neuen
           Straße in Schwabing. Durchlauchtigster   Man könnte es als Spekulation abtun,
           Fürst! Gnädigster Fürst und Herr! Die ge-  weil sich keine schriftlichen Belege dazu
           horsamst unterzeichnete Gemeindeverwal-  finden, aber die Zusammenhänge drängen
           tung Schwabing hat anlässlich des 70-jäh-  sich auf, dass sich die vorgenannten Stra-
           rigen Geburtstagsfestes Euerer Durchlaucht   ßenbenennungen und ihre Hintergründe
           am 9ten dieses Monats einstimmig den   auch auf die Gegend beim neuen Güter-
             Beschluss gefasst, Euere Durchlaucht un-  bahnhof fortsetzten. Noch zu Zeiten der
           terthänigst zu bitten, dass die zwischen   kommunalen Eigen  ständigkeit Schwabings
           der Herzog- und Siegfriedstraße neu errich-  entstand am 29. Juli 1890 die Germani-
           tete Straße die Benennung ‚Bismarckstraße’   astraße mit der Erläuterung: „Römische
           fortan führen dürfe. Indem ich namens der     Bezeichnung für Deutschland.“ Sie bezog      von München-Trudering (Nordring)
           Gemeinde Schwabing um gnädigste Erlaub-  sich auf die damals viel beschworene,   0,000   München-Freimann
           nis hierzu bitte, geharret Euerer Fürstlichen   siegreiche Symbolgestalt des neuen Kaiser-     nach Steinwerk (Nordring)
           Durchlaucht treugehorsamster Ansprenger,   reiches, vergleichbar mit der Bavaria für   1,18   Anschluss Shell-Tanklager
           Bürgermeister.“                   Bayern. Und nun schienen die Wissen-  1,550   Frankfurter Ring
                                             schaftler Helmholtz und Virchow ins Spiel   1,60   Anschluss Funkkaserne
           Bereits am 18. März 1885 antwortete das   zu kommen. Am 7. Dezember 1907 erhielt   2,01   Anschluss Dahmit/Haniel
           „Special-Bureau“ des Geehrten: „Euerer   der nun auch für Schwabing zuständige   2,24   Anschluss Raab Karcher
           Wohlgeboren bin ich beauftragt, auf das   Münchner Magistrat die Allerhöchste Ge-  2,33   Anschluss Siemens-Schuckert (ab 1958)
           gefällige Schreiben vom 13. des Monats zu   nehmigung des Königlichen Staatsministe-  2,4   (Streckenende 1987–1995)
           erwidern, dass der Herr Reichskanzler es   riums des Innern zur Benennung der bei-  2,762  Schenkendorfstraße
           sich zur hohen Ehre rechnet, wenn die von   den Straßen, wobei die Virchowstraße   2,8   Anschluss Lokomotivfabrik J. A. Maffei
           Euerer Wohlgeboren bezeichnete Straße in   erklärt wurde mit: „Nach dem berühmten      von München-Milbertshofen (bis 1947)
           Schwabing seinen Namen führen wird.“   Anthropologen Rudolf Virchow, gestorben   3,554   München-Schwabing (508 m)
           Und sogleich am 18. März 1885 benannte   1902 in Berlin.“ Helmholtz wurde in Pots-
           der sich nach außen unterwürfigst geben-  dam geboren und Virchow starb in Berlin.
           de, in Wirklichkeit aber knallhart opportu-  Nun liegt die Vermutung nahe, dass des-
           nistisch berechnende Schwabinger Gemein-  halb der Magistrat mit seinem Streben




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