Page 22 - Taxikurier Mai 2025
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STICHGESCHICHTEN
➔ WIE IM RICHTIGEN LEBEN
Unser Autor Jens Kügler, Jahrgang 1967, im Beruf Journalist und Taxifahrer aus Leidenschaft,
schreibt in kurzen Episoden über die Erlebnisse aus drei Jahrzehnten hinter dem Taxilenkrad.
In Lehrte klingelte sie vergeblich am Tür- Was geschah nun? Er blieb in der Haustür singenden Sopranistinnen und Bass-Bariton-
schild ihrer Schwester. Deren Auto stand stehen. Was dann? Keine Faust? Kein Mes- Duette erdulden müsste. Also drehte ich
auch nicht dort, wo es sonst stand. Die ser? Kein „Verpiss Dich endlich!“? Nein. meine „Così fan tutte“ leise, sodass die
Rettung war einfach nicht daheim. Was Ganz friedlich und freundlich lud er mich Mozart-Oper nur noch ganz leicht wie
nun? Ich begann, für meine verunsicherte ein, in die Wohnung zu kommen. Mit einem aus der Ferne der über 200 Jahre, die seit
Beifahrerin einen Schlachtplan zu schmie- unbeschreiblichen Cocktail Shake aus En- ihrer Komposition verstrichen waren, zu
den. Wir zurück nach Burgdorf. Ihr Freund dorphinen kam ich der Einladung nach. vernehmen war. Und als wollte er meine
war nicht zu sehen im Umkreis der Woh- Da saß sie, die Augen getrocknet, äußerst Menschenkenntnis ad absurdum führen,
nung. Ich begleitete sie zur Haustür. angestrengt lächelnd. Er setzte sich neben rief der vermeintliche Reggae-Man, kaum
Während diese langsam ins Schloss fiel, sie auf das Sofa, legte seinen rechten Arm das er mit der Armverlängerung seines
beobachtete ich noch, wie sie im Treppen- um sie und streichelte ihr das Haar. Sie Hüftschwungs lässig die Tür aufgezaubert
hauslicht in ihrer Wohnungstür im Erdge- schmiegte sich an ihn. Ein hübsches Bild. hatte: „Hey, was hörst du da?“. Nur um
schoss verschwand. Es machte klack, die die Antwort gleich selber nachzulegen:
Haustür war zugefallen, da sah ich, wie der Die nächsten zehn Minuten verbrachte die- „Das ist doch Mozart, Man, dreh mal
Typ vom ersten Stock heruntergesprungen ses junge Traumpaar unter einer schlecht lauter! Ich glaub es nicht, ich komme in
kam und gerade noch einen Fuß in ihre nachgeahmten William-Turner-Landschaft ein Taxi und der Fahrer hört Mozart.
Wohnungstür bekam. Offenbar hatten ihn damit, mir klarzumachen, dass das alles ein Crazy, Man, Crazy!“.
wohlmeinende Nachbarn ins Haus gelassen. blöder Ausrutscher war. Der Typ war mir
Nun war er drin, ich draußen. Konnte ihr sogar dankbar, dass ich so rührend seine Marley plus Mozart – ja, warum denn ei-
nicht mehr helfen. Freundin beschützen wollte. Vor ihm. Als er gentlich nicht, dachte ich mir, mein Welt-
auch noch mit dem Portemonnaie ankam, bild wieder zurechtrückend, nur um es
Ich schlich ums Haus rum und hörte durchs verschwand ich wortlos nach draußen und gleich darauf wieder in Trümmer stürzen
offene Küchenfenster, wie sie redeten. Ru- sah zu, dass ich Land gewann. zu sehen. „Du musst Salieri hören. Salieri,
hig. Ich stieg ins Auto zurück, stellte mich Man! Der Mozart hat doch alles nur ge-
direkt unters beleuchtete Fenster, ließ hör- Mir war zum Kotzen. Ich konnte diese Frau klaut von dem Salieri. Salieri, das ist die
bar den Motor laufen und stellte außen vor nicht verstehen. Einfach sie nicht verstehen. Kanone, Man, nicht dieser Mozart!“ Ohne
die Beifahrertür, um ihr zu signalisieren, Über den Typen verschwendete ich keiner- über allzu profunde Kenntnisse der Musik-
dass sie sofort rauskommen konnte, not- lei Gedanken mehr. Damals. Wenn ich heute szene Wiens im ausgehenden 18. Jahrhun-
falls springend. daran zurückdenke, wird mir ganz anders. dert zu verfügen, erlaubte ich mir doch
Ich bereue es bis jetzt, dass ich diesen die Bemerkung, dass das Werk des jungen
Minuten vergingen. Dann: das Treppenhaus- Schläger nicht sofort angezeigt hatte. Amadeus in seiner bis heute anhaltenden
licht ging an. Der Typ kam raus. Dass mir in Popularität nicht als künstlerisch weniger
dem Moment leicht mulmig wurde, kann eigenständig angesehen werden könne als
vielleicht jeder nachvollziehen. Im Gefühls- Salieri, Man! das seines älteren und damals gleichwohl
mix aus dem Ängstlichen „Geht der jetzt auf angeseheneren lokalen Konkurrenten.
mich los, schlägt der zu, was tu ich?“ und Fahrgäste sind Stereotypen. Das alte Müt- Schließlich kenne fast niemand heute
Trotzigem aus einem Rest Stolz und Mitleid terchen ist sicher auch ein wenig verwirrt, mehr diesen Salieri.
mit ihr hatte klar ersteres die Oberhand und das gebückt auf die Beifahrertür zuwankt.
Nervosität ergriff mich. Zumal sich mein Der Anzugmensch mit Notebooktasche wird Aber nein, Mr. Dreadlock bleibt steif und
Helfersyndrom und meine Wut auf ihn schon es eilig haben und hektisch an seinem fest bei seiner Behauptung und legt mir
während der Fahrt mit Unverständnis für Handy nesteln und sofort lostelefonieren ans Herz, Salieri-CDs zu kaufen. Die Origi-
eine erwachsene junge Frau durchmischt statt mir gegenüber nur ein Wort mehr als nale quasi. Und nicht die Mozart-Abkupfe-
hatte. Unverständnis für eine Frau, die ei- den Namen des Zielortes zu verlieren. Und rungen. Aber diesen Gedanken habe ich,
nem solchen armen Irren nicht einfach den dem dunkelhäutigen Dreadlock-Typen mit ehrlich gesagt, kaum weiterverfolgt. Im
Laufpass zu geben durchringen konnte. Dass den bunten karibischen Klamotten, der Kopf blieb mir vor allem der Umstand hän-
sie vielleicht selbst auch nur aus Angst vor eines Tages auf mein Auto zukam, würde gen, dass Stereoklänge und Stereotypen
ihm nicht tat, daran dachte ich erst später, sicherlich die Kinnlade zu Boden sinken, genauso wenig klar zuzuordnen sind wie
wesentlich später. wenn er klassische Musik mit koloratur- die Verwechslungsrollen der Dorabella und
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