Page 14 - Taxikurier Juni 2022
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RECHTSPRECHUNG


             ➔ URTEILE




            Führerscheinentzug nach unverschuldetem Unfall
            bei Trunkenheit ist rechtens


            Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
            auch bei nicht Ahndung einer als Ordnungswidrigkeit einzu-
            stufende Zuwiderhandlung notwendig

            Die Fahrerlaubnisbehörde darf auch dann wegen wiederholter
              Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss
            zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
            auf fordern, wenn eine als Ordnungswidrigkeit einzustufende
              Zu widerhandlung nicht geahndet worden ist. Das hat das Bundes-                                  istockphoto
            verwaltungsgericht entschieden.

            Der Kläger wandte sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.
            Ihm war 2008 und 2009 vom Strafgericht wegen Trunkenheitsfahr-  könne der Beklagte die Anwendung der genannten Regelung nicht
            ten mit Blutalkoholkonzentrationen (BAK) von 1,4 und 1,48 Pro-  auf den Vorfall vom 1. September 2017 stützen. Stattdessen finde
            mille jeweils die Fahrerlaubnis entzogen worden. Aufgrund eines   die Aufforderung an den Kläger, ein medizinisch-psychologisches
            positiven medizinisch- psychologischen Gutachtens wurde ihm im   Gutachten vorzulegen, die erforderliche Rechtsgrundlage jedoch
            Juni 2016 die Fahrerlaubnis wiedererteilt. Am 1. September 2017   im Auffangtatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV
            wurde der Kläger als Führer eines Kraftfahrzeugs unverschuldet in   (… sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begrün-
            einen Verkehrsunfall verwickelt. Die bei ihm entnommene Blutpro-  den …). Solche Tatsachen ergäben sich hier daraus, dass der
            be wies eine BAK von 1,04 Promille auf. Der Kläger behauptete     Kläger im Juli 2009 ein Kraftfahrzeug mit einer BAK von 1,48 Pro-
            später, dass dies auf einem Nachtrunk beruht habe. Das gegen ihn   mille geführt habe und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entzogen
            eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde eingestellt   worden sei. Außerdem sei bei ihm nach dem Verkehrsunfall vom
            und der Vorgang an die Bußgeldstelle abgegeben. Ob ein Ord-  1. September 2017 eine BAK von 1,04 Promille festgestellt wor-
            nungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurde und wie es gegebe-  den. Der vom Kläger behauptete Nachtrunk sei eine unglaubhafte
            nenfalls endete, konnte nicht festgestellt werden; der Vorgang   Schutzbehauptung; er habe hierzu keine substanziierten und
            wurde bei der Bußgeldstelle aus datenschutzrechtlichen Gründen   schlüssigen Angaben gemacht.
            gelöscht. Mit Schreiben vom 9. Mai 2019 forderte der beklagte
            Landkreis vom Kläger gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der
            Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Vorlage eines medizinisch-   Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV erfüllt
            psychologischen Gutachtens. Nachdem der Kläger das Gutachten
            nicht beibrachte, entzog ihm der Beklagte die Fahrerlaubnis.  Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurück-
                                                               gewiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lagen
                                                               die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV vor. Eine
            OVG: § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV               Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss im Sinne
            rechtfertigt Beibringungsaufforderung nicht        dieser Vorschrift ist auch dann gegeben, wenn eine als Ordnungs-
                                                               widrigkeit einzustufende Trunkenheitsfahrt ordnungswidrigkeits-
            Der vom Kläger daraufhin erhobenen Anfechtungsklage gegen    rechtlich nicht geahndet worden ist, aber mit hinreichender
            die Fahrerlaubnisentziehung hat das Verwaltungsgericht Neustadt     Gewissheit feststeht, dass der Betroffene die Zuwiderhandlung
            an der Weinstraße stattgegeben. Diese Entscheidung hat das     begangen hat und sie in zeitlicher Hinsicht noch verwertbar ist.
              Ober verwaltungsgericht Rheinland-Pfalz geändert und die Klage   Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Dass das Oberverwal-
            abgewiesen. Die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-   tungsgericht die Behauptung des Klägers, er habe den Alkohol erst
            psychologischen Gutachtens sei rechtmäßig erfolgt. Der vom   nach Beendigung der Fahrt zu sich genommen, nicht als glaubhaft
            Beklagten als Rechtsgrundlage angeführte § 13 Satz 1 Nr. 2   angesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die
            Buchst. b FeV (… wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenver-    Tilgungsfristen für geahndete Zuwiderhandlungen bestanden auch
            kehr unter Alkoholeinfluss …) rechtfertige die Beibringungsauf-  gegen die Verwertung der Trunkenheitsfahrt vom 1. September
            forderung allerdings nicht. Für die Anwendung dieser Vorschrift   2017 keine Bedenken.
            genüge nicht jeder Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift; er
              müsse straf- oder bußgeldrechtlich geahndet worden sein. Daher   (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07.04.2022 – 3 C 9.21)







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